„DISPLAY 2022 – 2016“
—Publikation erschienen im Verlag Marian Arnd UG. 1. Auflage (250 Exemplare), ISBN 978-3-948927-37-0
—Texte: Lena Brüggemann, Paula Gehrmann, Vera Lauf, Elisabeth Pichler, Lars Rummel, Paul Ziolkowski
—Konzept und Produktion: Paula Gehrmann und Simone Vollenweider
—Grafik-Design: Simone Vollenweider
—Fotografie: Paula Gehrmann
—SHOP: Marian Arnd, Motto Berlin, PRO QM Berlin, MZIN Leipzig, Rotorbooks Leipzig
Um Beziehungen soll es in der Ausstellung gehen, um Gesellschaft, verstanden als Ensemble aus Beziehungen: Familien, Institutionen, Netzwerke aus menschlichen und nicht menschlichen Akteuren. Strukturen, die wir durch unsere alltäglichen Handlungen mitgestalten und die ein transformatives Potenzial enthalten.
Wir haben aus dem MMOMA-Archiv Werke der frühen Revolutionsjahre herausgesucht: eine Zeit, in der die Revolutionär:innen alle bestehenden gesellschaftlichen Beziehungen verändern wollten; in der sich Hunderte von „Proletkult“1-Gruppen gründeten, um durch Selbstbildungsprozesse eine
neue Kultur zu gestalten.
In der Ausstellung dient eine Fotografie von Alexander Rodtschenkos berühmtem Arbeiterklub für die Weltausstellung 1925 als Gegenüber für die relationalen Skulpturen von Paula Gehrmann. Mit drei Säulen aus MDF und Plexiglas greift die Künstlerin die Formgebung Rodtschenkos auf. In einer anderen Ecke stapelt sie Kuben zu einer Landschaft, die an die Überreste eines Spiels mit sehr großen Bauklötzen erinnert. Ein Kontrast zwischen dem Monumentalen und dem Provisorischen – und doch ist alles aus dem gleichen Material zusammengesetzt.
Paula Gehrmanns Installation „DISPLAY (Based on these new dependencies, we define five normal forms, 2018)“ ist eine der raumgreifendsten und materialintensivsten Arbeiten der
Ausstellung – und doch wird sie immer wieder als funktionelle Infrastruktur unsichtbar. Die Arbeit präsentiert Werke von anderen, verbindet sich mit diesen, verbiegt sich, um sie zu stützen. Collagierte Zines aus Workshops über Familienbeziehungen, Kunstwerke des Proletkults, Notizen zur Selbstorganisation von Offspaces, Anleitungen zum gemeinsamen Zusammenbrechen: diese ganz verschiedenen Objekte und Handlungsspuren werden von DISPLAY gleichwertig präsentiert
und bekommen eine temporäre Bedeutung.
Die reduzierten Formen aus MDF, Plexiglas und Schaumstoff laden dazu ein, sich Nutzungsweisen für sie auszudenken. Sie können verschoben, umgedreht, gestapelt werden, fungieren als Sitzplatz, Liege, Tisch, Behälter oder Rahmung. Kunst wird hier zum Gegenstand des Gebrauchs und fordert die Besucher:innen auf, sich den Raum anzueignen. Im Gegensatz
zu Rodtschenkos Arbeiterklub, der klare Funktionsbereiche definiert, die sich nutzen, aber nur bedingt verändern lassen, ist DISPLAY radikal offen. Jede seiner Anordnungen ist zeitgebunden, verändert sich während des Ausstellungszeitraums. Die einzelnen Elemente der Installation werden von den Workshop- und Performancegruppen je nach Bedürfnis rekombiniert und verbleiben als neue Ordnungen im Raum.
Die kollektive Raumproduktion mit all ihren Nutzungsschichten ist auch in Paula Gehrmanns dokumentarischen Fotografien der Räume des D21 und seiner Mitglieder Thema. Durch die Fotoserie wird die Atmosphäre des Unfertigen, Nahbaren, Selbst-Beinflussbaren – welche die temporäre Architektur erschafft – noch expliziter ausformuliert. Der programmatische Titel der Fotoserie „We will never make it, 2018“ erscheint dabei nicht als Scheitern, sondern als Erfahrung der eigenen Wirksamkeit in einem offenen, niemals abgeschlossenen Prozess.
1 Proletkult (ein Kurzwort aus пролетарская культура bzw. proletarskaja kultura – proletarische
Kultur) war eine kulturelle Bewegung, die sich zur Zeit der Russischen Revolution 1917 gründete.
Ziel der Bewegung war es, durch selbstorganisierte Bildung eine neue, unabhängige und genuin
proletarische Kultur zu erschaffen. 1920 waren in der Proletkult-Bewegung 584.000 Mitglieder
in etwa 300 Proletkult-Klubs, -Ateliers und -Fabrikgruppen aktiv.
Seine Basis bildet ein Stecksystem aus schwarzem Aluminium-Vierkantrohr, das in 25-cm-Schritten variiert und mit weiteren handelsüblichen Bauteilen kombiniert wird. Als wandelbarer
Werkzeugkoffer perspektiviert DISPLAY sein Umfeld jedes Mal neu und entzieht sich zugleich dem Anspruch nach ständiger Neuproduktion.
Als Teil der Gruppenausstellung „Re*creation“ in der Fotograf Gallery in Prag verband DISPLAY künstlerische Positionen, manifestierte seinen eigenen Raum und griff darüber hinaus Fragen nach Material- und Arbeitsökonomien auf. Die Ausstellung thematisierte im Rahmen des Fotograf Festival #8 „Non-Work: Occupied by Leisure Time“ das Verhältnis zwischen Produktivität und Auszeit. Während Letztere zunehmend als notwendige Ressource für Innovation und Kreativität – und damit als Grundlage der kapitalistischen Wachstumslogik – wahrgenommen wird, verbleibt die Verantwortung für reproduktive Tätigkeiten, Erholung und Reflexion weitgehend in der privaten und individuellen Sphäre. „Re*creation“ versammelte künstlerische Positionen, die sich für ihre Arbeit vorhandenes (Bild-)Material aus Bereichen aneignen, die wir üblicherweise dem Privaten zuordnen: Freizeitaktivitäten, selbst gewählte oder erzwungene Arbeitsunterbrechungen;
Familienfotos. Sie stellen das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem in Frage, verkehren Original und Reproduktion oder reflektieren den Zusammenhang zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Dabei offenbart sich neben der individuellen immer auch eine gesellschaftliche Relevanz, verlagert sich der Fokus von der Produktion auf die Distribution, Rezeption und Interpretation künstlerischer Arbeit.
Im Vorfeld der Ausstellung verbrachte Paula Gehrmann 28 Tage in der Künstler:innen-Residenz „meetfactory“ im Prager Stadtteil Smíchov. Ihre fotografischen Spaziergänge aus dieser Zeit präsentiert sie in der Arbeit „Out of 28, 2018“ in ringgebundenen Foto-Tagebüchern, die in ihrer strengen, kleinformatigen Anordnung an digitale Kontaktbögen erinnern. Sie versammeln alltägliche Eindrücke und subjektive Miniaturen, die sich bewusst dem Einzelbild, der Eindeutigkeit oder Endgültigkeit verweigern. Vielmehr dokumentieren sie einen Annäherungsprozess, in dem die Künstlerin mit minimalen Perspektivverschiebungen ihre Umgebung visuell abtastet und ihre eigene Positionierung sichtbar macht. DISPLAY vollzieht in diesem Zusammenhang eine vergleichbare Bewegung: Die modularen Versatzstücke durchziehen den Ausstellungsraum als zentrales Band und greifen in den umliegenden Raum aus. Die Variationen aus schwarzem Aluminium-Vierkantrohr erweitert Paula Gehrmann um gekettelte Teppich-Meterware, Acrylglas- und Holzfaserplatten. Die Platten definieren Körper und Freiflächen. Die Teppichstücke schaffen
Inseln, laden zum Verweilen ein; verbinden als Läufer Tische, Kuben und Körper; schmiegen sich an Fensterbänke und stolpern über Gestänge.
Im Spiel von Regel und Abweichung zeigt sich DISPLAY als hybride Skulptur – im Spannungsfeld von autonomer Installation und ortsspezifischer Intervention verwischt sie die Grenze zwischen Funktionalität und Selbstzweck. DISPLAY verteilt Abstände, gestaltet Sichtachsen, schließt ab, öffnet und sensibilisiert für die Zwischenräume. So entsteht ein relationales System, mit dem Paula Gehrmann Nähe und Distanz auslotet und die unterschiedlichen Akteure im Ausstellungsraum zueinander in Beziehung setzt.
Display ist seit geraumer Zeit ein zentraler Begriff im Ausstellungszusammenhang. ‚On display‘ zu sein meint ‚ausgestellt werden‘; die etymologische Wurzel des lateinischen displicare (entfalten) weist auf eine weitere Bedeutung hin. Das (sich) Entfalten im Raum schwingt bei der zentralen Eigenschaft des Displays, etwas sichtbar zu machen, daher immer mit. Somit vebindet sich
im Display das Gezeigt-Werden mit dem Sich-Zeigen.1 Seit einigen Dekaden wird der Begriff des Displays nicht nur vermehrt als Synonym für die Ausstellungsgestaltung verwendet, sondern gewinnt auch als Gegenstand künstlerischer Praxis eine zunehmende Bedeutung. Die Einbindung des Displays in die Arbeit von Künstler:innen ist motiviert von einem expliziten Interesse an der Auseinandersetzung mit Fragen der (Re-)Präsentation von Kunst, eben an einer Beschäftigung
mit den Bedingungen und Konventionen des Gezeigt-Werdens und Sich-Zeigens.
Jener doppelte Charakter des Displays stellt den Ausgangspunkt für Paula Gehrmanns langjährige Beschäftigung mit diesem Gegenstand dar. Auf der Suche nach einer möglichen Form der Präsentation für ihre fotografische Arbeit entwickelte die Künstlerin zunächst aus Holzlatten eine Konstruktion, die es ihr ermöglichte, die Fotografien aus den klassischen Rahmen und von der (weißen) Wand zu lösen und sie auf einem dem Ausstellungsraum hin zugefügten und zugleich davon abgetrennten Träger zu präsentieren. Die formal und inhaltlich mit den Fotografien korrespondierende Konstruktion erweiterte die fotografische Arbeit hin zur Installation, die Holzlatten waren Träger und Skulptur zugleich. Der Wechsel zwischen funktionalem und ästhetischem Objekt ist auch zentral für Paula Gehrmanns Arbeit DISPLAY. Die modulare Architektur, bestehend aus zusammengesteckten Vierkantrohren, Plexiglas und MDF-Platten sowie weiteren Materialien, dient nun – anders als die Holzkonstruktion – nicht länger ausschließlich der Präsentation ihrer eigenen künstlerischen Praxis, sondern verbindet sich in unterschiedlichen Konstellationen mit weiteren Akteuren, Inhalten und Praktiken.
In den Jahren 2019/2020 war die dreiteilige Präsentation des Archivs Gabriele Stötzer in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) Leipzig zu sehen. 2 In dem Projekt „Bewußtes Unvermögen“ widmete sich die GfZK dem umfangreichen Archiv der Künstlerin, das neben den künstlerischen Arbeiten zahlreiche Dokumente beinhaltet und bis dato keine umfassende Sichtung und Erfassung erfahren hatte. Ziel war es, die Praxis Gabriele Stötzers der 1980 er und frühen 1990er Jahre an aktuelle Fragestellungen und Praktiken anzubinden. Hierfür entwickelte Paula Gehrmann wechselnde Rauminstallationen, die Verbindungslinien zwischen ihrer eigenen Praxis und der Arbeitsweise Stötzers zogen und diese gleichzeitig mit dem Interesse der Kuratorinnen, das Wesen von Archiven sichtbar zu machen, zusammenführten. Zentral für die Arbeit DISPLAY ist stets ein reziprokes Verhältnis zwischen gezeigtem Gegenstand und der Trägerstruktur des Zeigens: Die Form von Paula Gehrmanns Arbeit ergab sich aus dem Material des Archivs, orientierte sich an den Objekten, deren Materialität, Größe und Anforderungen genauso wie am Kontext des Projekts; zugleich gab die Arbeit dem sich durch sie im Raum entfaltenden Archiv eine Form. Dies erzeugte ein Spannungsverhältnis: Die auf festen Maßeinheiten beruhende Arbeit
Paula Gehrmanns gab den Objekten Gabriele Stötzers teilweise eine Rahmung und fungierte als passender Träger; an anderer Stelle jedoch ließen sich die Formate einzelner Fotoserien oder Textilien nicht in die Elemente des Displays einfassen – Fotos kragten aus den Elementen aus, Wandbehänge mussten auf dem Boden umgeschlagen werden. Die zugleich variable und begrenzte modulare Architektur ließ Widerstände zutage treten. Anders als etwa in einem konventionellen Archiv angestrebt, passte vieles nicht in die rahmende Struktur.
Das Motiv des Sich-nicht-einordnen-Lassens lässt sich in Bezug auf Paula Gehrmanns Praxis noch anders betrachten: Die Arbeit DISPLAY geht immer mit einem Zusammenkommen von Akteuren und Dingen einher. DISPLAY entwickelt sich aus einem In-Beziehung-Treten. Dieses Angewiesensein auf Formen der Zusammenarbeit und der jeweiligen Kontexte produziert Kippmomente, in denen etablierte Zuschreibungen und Grenzziehungen ins Wanken geraten. Explizit uneindeutig bleibt Paula Gehrmanns Position als Künstlerin und/oder Ausstellungsgestalterin.3 Auch die Frage nach der Autor:innenschaft schließt sich an. Noch deutlicher als im Projekt „Bewußtes Unvermögen“ stellt sich diese Frage, wenn Paula Gehrmann etwa mit Nadine Richter aus der Offenen Kunst·Werkstatt der Lebenshilfe Leipzig e. V. im Prozess wechselseitiger Reaktion einen Raum für die Zusammenarbeit entwickelt. Wer ist letzten Endes die Produzentin dieser Arbeit ? An eine derartige kollaborative und prozessuale Praxis schließen sich weitere Fragen an: Was ist künstlerische Arbeit ? Wie verhält sich der Prozess des gemeinsamen Agierens und Gestaltens von Räumen zur entstandenen Raumskulptur? Ist Skulptur
der richtige Begriff?
DISPLAY verwehrt eindeutige Zuschreibungen: In den verschiedenen Varianten changiert die modulare Architektur zwischen Skulptur, Installation und funktionalem Träger bzw. Ausstellungsdesign. Eine eingenommene Perspektive hat nur kurzzeitig Bestand. Dies zeigt sich gerade auch in der expliziten Bezugnahme auf konventionelle Präsentationsformen (Rahmen, Sockel, Vitrine). In Paula Gehrmanns DISPLAY ist der Sockel jedoch nur ein angedeuteter und die Vitrine bleibt nach oben offen und bietet – entgegen der eigentlichen Funktion einer Vitrine – gerade keinen Schutz für das Exponat. Je nach Betrachtung wird der wechselnde Charakter deutlich – mal treten die Elemente als autarkes Objekt hervor, dann wieder treten sie als Träger des ausgestellten Materials zurück. DISPLAY widersetzt sich nicht nur einer eindeutigen Zuordnung, sondern ebenso deutlich einer Abgeschlossenheit: Die veränderbare Anordnung der Elemente erzeugt variierende Beziehungen, der Raum wird jeweils zu einem anderen, ist
wandelbar. An der Schnittstelle zwischen Kunst und Design eröffnet die auf Kooperation ausgerichtete Praxis Paula Gehrmanns einen Raum für eine Reflexion über Verfahren und Inhalte künstlerischer Arbeit, die Rolle der Künstlerin wie auch über Formen der Präsentation.
1 Vgl. Fiona McGovern, Die Kunst zu zeigen, Bielefeld 2016.
2 Die Ausstellung war von März 2019 bis März 2020 zu sehen und wurde von Luise Thieme und mir kuratiert: https://gfzk.de/aktivitaete/ausstellungen/archiv/ (20.01.2023). Gabriele Stötzer war
Protagonistin einer kulturellen Szene, die nicht den offiziellen Paradigmen der Kulturpolitik der
DDR entsprach. Ihr experimentelles künstlerisches Arbeiten umfasst literarische Texte, Filme, Fotografien, Performances, Kostüme, Objekte, textile Arbeiten, Künstlerbücher, Malerei und Zeichnung. Sie arbeitete sowohl individuell als auch in kollektiven Strukturen.
3 Der Titel des Projekts „Bewußtes Unvermögen“, der auf einen Text Gabriele Stötzers zurückgeht, in dem sie gängige und erprobte Systeme zugunsten einer Praxis der Unsicherheit und des Instabilen propagiert, verweist in diesem Sinne gleichermaßen auf Paula Gehrmanns Praxis.
Paula Gehrmann geht auf die Teilnehmer:innen der OKW ein und arbeitet mit ihren Werken, ohne diese zu verändern. Situationsbedingt schafft sie einen Rahmen, denkt sich für die entstehenden und vorhandenen Bilder eine erweiterte und unterstützende Präsentation aus. Das Besondere daran ist, dass nicht in die Bilder eingegriffen, sondern seitens der Künstlerin eine Konstruktion ausgearbeitet wird, um diese zu bestärken. Darüber hinaus begibt sich Paula Gehrmann furchtlos
in den Prozess, das Projekt OKW weiterzuentwickeln und das kreative Schaffen der Teilnehmer:innen sowohl aufrecht zu erhalten als auch gemäß ihrer individuellen Fähigkeiten
auszubauen. Vor dem Hintergrund, den gestalterischen Ausdruck der einzelnen Gruppenmitglieder bestmöglich präsentieren zu wollen und ggf. in einen zeitgenössischen Kunstkontext
zu stellen, empfinde ich ihre unterstützende Arbeit als unabdingbar.
Es ist Mai 2021, wir befinden uns in den Räumen der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) in Leipzig. Zurzeit werden hier neu angekaufte Kunstwerke unter dem Titel „Vom Haben und Teilen – Wem gehört die Sammlung?“ präsentiert. Die Offene Kunst}Werkstatt ist eingeladen, sich die Ausstellung anzuschauen und diese zu kommentieren. Um den unterschiedlichen Reaktionen der OKW-Mitglieder Spielraum zu geben und sie adäquat zu begleiten, wird dieser Besuch von
Paula Gehrmann vorbereitet. Mit ihrer Experimentierfreude und durch die Vielseitigkeit der Arbeit DISPLAY, welche Materialien aller Art verwendet, geht die Künstlerin individuell auf die einzelnen Persönlichkeiten der OKW ein und entwirft für jedes Gruppenmitglied einen passenden Arbeitsplatz, der auch spezifische Arbeitsbedingungen berücksichtigt. Angepasst an körperliche Bedürfnisse, motorische Möglichkeiten sowie die unterschiedlichen Behinderungsformen der OKWTeilnehmer: innen entwickelt sie assistierende Arbeitsmöbel. An diesen variierenden und mobilen Einrichtungen können die OKW-Teilnehmer:innen direkt in der laufenden Ausstellung
gestalterisch arbeiten – gleichzeitig dienen sie auch als Präsentationsarchitektur oder Display.
Das Ausarbeiten der Persönlichkeit mit den Mitteln der Kunst ist aus meiner Erfahrung heraus ein effektiver Weg, um die Inklusion in der Gesellschaft voranzutreiben. Erfolgreich ist er nur dann, wenn dabei auf Unterschiedlichkeit gesetzt wird, wenn die persönlichen Eigenheiten und Fähigkeiten von Menschen als positiv gewertet, akzeptiert und unterstützt werden – diesen Gedanken hat Paula Gehrmann in sich aufgenommen und setzt ihn spielerisch um.
Durch das Ausarbeiten eines jeweils eigenen Präsentationsstils eröffnet sie den OKW-Teilnehmer:innen die Möglichkeit, sich in ihrem Empfinden von Identität bereichert und in ihrer Selbstwahrnehmung bestärkt zu fühlen. Die Beteiligten können ihre gestalteten Arbeiten aus vielleicht ungewohnter oder veränderter Perspektive wahrnehmen, wodurch wiederum neue kreative Impulse entstehen. Für Außenstehende funktioniert DISPLAY wie ein Verstärker, der die Individualität der einzelnen Bilder und ihrer Produzent:innen herausstellt und vielleicht eine neue Perspektive auf den Menschen mit einer Behinderung oder Krankheit möglich macht.
Mit diesem Text bedanke ich mich bei Paula Gehrmann für die langjährige Zusammenarbeit und den respektvollen Umgang mit allen Beteiligten, für das Mittragen von Verantwortung und das Zusammenstehen bei öffentlichen Auftritten – von Ausstellungen über Workshops bis zu Kooperationen mit weiteren Künstler:innen und Institutionen. Nicht zuletzt schätze ich ihre konstant professionelle, konzeptionelle und lösungsorientierte Arbeit an Ausstellungen und an der Sichtbarkeit unserer Arbeit als Gruppe – so auch die technische Entwicklung und Umsetzung von assistierenden Möbeln bzw. Arbeitsstationen für kreatives Gestalten. Durch die Mitarbeit von Paula Gehrmann durfte die OKW in der Vergangenheit schon so einige Erfolge feiern – herzlichen Dank!
Lasst uns über Vertrauen sprechen. Wir Kurator:innen sind Kontrollfreaks. Wir haben eine Vision. Wir wollen das Publikum bewegen, Plattform sein, Räume schaffen und die großen Themen besprechen. Aber wie dann weiter? Die Idee: mit der Arbeit DISPLAY eine raumgreifende Szenografie für die „XR“- Kurationen zu erschaffen. Extended Reality als zumeist digital angelegte Kunst braucht einen räumlichen Anker, einen physischen Ausgangspunkt. Internalisierte Bilder von Künstler:in und Kurator:in blockierten uns zunächst; mit dem Auflösen dieser Rollenvorstellungen verstanden wir uns als Team. Es war eine Lektion über das Loslassen, Vertrauen, Abgeben und Teilen – über die Energie, die entsteht, wenn wir nicht unsere Egos verhandeln. Die Arbeit mit Paula und DISPLAY als ortsspezifischer Installation haben all das freigelegt. Ich habe unseren Prozess im Laufe der Jahre als Einladung in die eigenen Leerstellen verstanden.
Im Kunstraum ist das Erleben oft ein konsumistisches: Wir wollen staunen. Wir sind das Spektakel gewohnt. Der Kunstraum wird mit der Aufgabe beladen, eine Alternative zum Leben in der Leistungsgesellschaft zu liefern. Es braucht schon einen massiven Input, um überhaupt noch etwas zu fühlen – im Kunstraum und auch allgemein. Kunst wird, wie es in unserer Branche üblich ist, ‚exponiert‘. Exponieren bedeutet für mich, die Werke ungeschützt den Erwartungshaltungen und Urteilen der Besuchenden auszusetzen. Die Arbeit DISPLAY ergründet einen Raum zwischen Kuration, Kunstvermittlung und der eigenen künstlerischen Position. Ein Raum im Raum, der sich selbst exponiert und andere Arbeiten schützend umhüllt. Die Architektur schafft dadurch ein Angebot, mit dem wir der Kuration begegnen können. So entstehen Jahr für Jahr grosszügige Landschaften und Erfahrungsräume, die Übergänge hin zu Sanftheit und Verletzlichkeit eröffnen – eine emotionale Verortung in uns, die es braucht, um die digitalen Arbeiten erleben zu können. Unsere Synergie ist eine Einladung an das Publikum, der eigenen Intuition zu folgen, innezuhalten, in sich hineinzufühlen.